22.02.2019
Kultur von allen, für alle
… das ist für den Kulturhistoriker Hermann Glaser das Wesen von „Soziokultur“.
So sperrig dieser Begriff so vielfältig und bunt ist das, was dahinter steht. Als eine Art Gegenkultur in den 60er und vor allem 70er Jahren entstanden, gegen eine elitäre und eher unpolitische Auffassung von Kultur, hebt sie sich heute nicht mehr radikal ab. Der Gegensatz von sogenannter „Hochkultur“ und Soziokultur ist aufgelöst. Dennoch leben die soziokulturellen Zentren fort und bieten einen unglaublich bunten Strauß an Angeboten für junge und alte, reiche und arme, hiergebliebene und hinzugekommene Menschen - eben für alle.
Schleswig-Holstein fördert die Arbeit der Soziokulturellen Zentren im Land. Wir Grünen haben uns 2018 erfolgreich dafür eingesetzt, dass die finanziellen Mittel auf 200 000 Euro im Jahr erhöht wurden. Ich schaue mir an, was mit dem Geld vor Ort gemacht wird und begebe mich auf „SoziokulTour“.
Internationale Begegnungsstätte Lohgerberei
Der Verein „Miteinander leben“ hat sich nach dem Möllner Brandanschlag 1992 gegründet und will ausländische und inländische Menschen zusammen führen. Kennenlernen und Verstehen verschiedener Kulturen und Denkweisen stehen im Mittelpunkt. Hass und Ausgrenzung haben hier kein Zuhause. Politische Bildung und Demokratieerziehung, vor allem Arbeit „gegen rechts“ werden sogar durch Bundesmittel gefördert. Angesichts der Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien ist diese Arbeit so wichtig wie damals, als (Un-)Menschen Häuser und Ihre Bewohner*innen anzündeten. In der unmittelbaren Nachbarschaft der Häuser des Brandanschlags macht es mich fassungslos, dass wir heute wieder gegen Fremdenfeindlichkeit kämpfen müssen. Nichts gelernt? Es scheint so. Und umso wichtiger ist die Arbeit von „Miteinander leben“. Nie wieder!
Kulturakademie Bad Segeberg
Jugend- und Soziokulturarbeit at it’s best: ein denkmalgeschütztes Haus aus den 70ern – schon allein das ist etwas ganz besonderes! Hier geht es um alles: Zuschauen, Mitmachen, Kreatives Schaffen und Genießen. Hier gibt es Räume für künstlerisches Gestalten, Theaterarbeit und Übernachtungen für mehrtägige Seminare und Fortbildungen – inklusive einer hervorragenden Küche! Kreis und Stadt Segeberg engagieren sich finanziell – auch das eine Besonderheit in der soziokulturellen Landschaft in SH. Zugleich ist die Akademie Trägerin der offenen Ganztagsschulen im Umfeld. Eine gute Möglichkeit Schule und kulturelle Bildung neu zu denken.
Kulturwerkstatt FORUM e.V. Neustadt
Sie sind älter geworden – sagen sie selber. Aber sie machen weiter. Aus der Friedensbewegung der 80ger Jahre sind sie gekommen und ihre Musik haben sie mitgenommen bis heute in den alten Güterabfertigungs-Schuppen gegenüber des Bahnhofes. Begegnung ist auch hier das Thema. Alt und Jung, verschiedene Milieus, selber schaffen und miteinander genießen. Wenn das nicht Soziokultur ist. Es gibt Konzerte, Lesungen, Kindertheater des Monats und jede Menge ehrenamtliches Engagement. Das Dach müsste isoliert werden, die Toiletten erneuert – das ist mit Bordmitteln nicht zu schaffen. Das Landesprogramm für Investitionen in die freie Szene, das wir Grüne in den Jamaika-Koalitionsvertrag verhandelt haben, kann hier helfen. Aber den Spaß an der Arbeit bringen die Leute selber mit und der ist mit Geld nicht zu bezahlen. Chapeau!
Speicher Husum
Fast wäre er verrottet, heute steht er da wie ein Wahrzeichen im Hafen Husum. Seit 2982 wird er als kulturelles Zentrum bespielt. Die Stadt unterstützt es ebenso wie der Kreis Nordfriesland. Aber der Speicher ist so erfolgreich, dass er sich zu einem Großteil von Eintrittsgeldern und Spenden trägt. Gut 20 000 Leute kommen jedes Jahr und rocken den Hafen, hören bei Lesungen zu, werden vegetarisch oder vegan bekocht, können sich Infos zu sozialen Fragen holen, machen eigene Konzerte mit ihren Lieblingshits, und, und, und. So viele Ideen und neue sind willkommen. Sie werden auch heute noch basisdemokratisch beraten und ins Programm aufgenommen. Ein Grundsatz aus der Anfangszeit der Zentren, der nicht mehr überall so konsequent gelebt wird.
Volksbad Flensburg
Eine wunderbare Jugendstilfassade begrüßt mich. Da wo früher riesige Kessel das Wasser für die Badenden erwärmten, heizt heute die Mucke ein. Vor allem Party ist hier angesagt. Aber unter der Woche wird der Raum auch von Yogagruppen gebucht. Und wer nicht nur tanzen, sondern auch selbst Musik spielen will, findet hier passende Übungsräume. Ganz besonders im Volksbad ist die regelmäßige S&L-Disco: Lesbisch, schwul, bi, trans*, inter*, queer, hetero, alle sind willkommen. Und kommen auch und zwar von weit her. Auch das Volksbad zählt im Jahr über 20 000 Besucher*innen. 70 Prozent der Kosten kann das Haus selbst erwirtschaften. Die Stadt Flensburg gibt eine Basisförderung.
Kunst und Kultur Baustelle 8001
Hier ist es hell. Ein großer Raum für Ausstelllungen und Kunstaktionen bekommt von zwei Seiten Tageslicht. Auch hier gibt es Yoga-Kurse. Aber doch ist es hier anders. Der Verein versteht sich als Nachbar im Norden der Stadt. Will vor allem zusammenführen, was da ist und „gemeinsame Sache(n)“ machen. Interkulturelle Stadtteilarbeit mit anderen Vereinen und Initiativen. Daneben ein sommerliches Jazz-Festival auf der Wiese mit renommierten Künstler*innen und Einblicke aufs Quartier durch die Kameralinse in einem Fotoband versammelt. Kulturvermittlung und zivilgesellschaftliches Engagement wird hier seit 2009 groß geschrieben.
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